
Tour 3 - letzter Tag: Alles ohne Happy End
Ich bot Martin an, an unserem letzten Tag mit Terminen nicht aus Gießen nach Frankfurt anreisen zu müssen, wenn ich Leute vom Hessischen Leichtathletikverband treffe. Es war das finale Treffen mit Sportleuten, das noch zu absolvieren war. Er guckte mich ernst an und sagte, nein, das sei doch der letzte Tag mit einem Termin, da wolle er unbedingt dabei sein. Melancholie überkommt einen oftmals unerwartet. Zeit für ein Resümee, merke ich.
Wir waren jetzt, mit kleinen Pausen dazwischen, zweieinhalb Monate kreuz und quer in Hessen unterwegs: mehr als 18.000 Kilometer im Auto, von Trendelburg (moderner Trimm-dich-Pfad) bis Lampertheim (Kanu-Akademie), von Heringen-Herfa (Kegeln) bis Limburg (Hockey).

Martin, was hat Dir in den letzten Wochen am meisten Spaß gemacht? Die Rückfahrten zum Feierabend. Warum?, frage ich ihn. Also das hat am meisten Spaß gemacht, sagt er, soviel Blödsinn haben wir uns da erzählt.
Stimmt. Das solle aber nicht heißen, dass andere Sachen nicht auch Spaß gemacht hätten. Martin ist ein sehr lustiger und loyaler Typ. Im richtigen Leben ist er Journalist und Fotograf, so wie man das heutzutage noch sein kann. Vor allem ist er aber ein interessierter Mensch, viel mehr als nur ein Basketball-Freak. Er hat es übrigens geschafft, in den letzten Wochen nicht ein einziges Mal mit mir Sportarten auszuprobieren und aktiv Sport zu machen. Einer musste ja schließlich die Fotos machen, begründet er sein Nichtstun.

Was ist für Dich das Schöne an Hessen, frage ich ihn. Es ist Postkarten-Deutschland, ohne Tegernsee zu sein. Was soll ich sagen, meint er, ich bin hier zuhause und kenne jeden zweiten Baum. Martin übertreibt gerne. Soll er doch! Die vielen hessischen Idiome, das Frankfordderische, die Sprache des Odenwalds, das Oberhessische, das fast Westfälische aus Nordnordhessen oder das der Hinterländer kann er perfekt imitieren. Allein wie er über die Wetterau hinweg rrrrrrrollt.
Was ein Spaß, als wir in Wiesbaden bei den Rollstuhlbasketballern von den Rhine River Rhinos zu Besuch waren! Martin kennt die Sportidee in- und auswendig. Er weiß im Schlaf, wieviel Einwohner Island hat, wann sie ihre Sportidee gestartet haben und bei welchen Welt- und Europameisterschaften sie in den letzten Jahren erfolgreich dabei waren. 330.000! Vor 15 Jahren! Fußball! Handball! Basketball!
Er war bei allen Treffen dabei und ist fast wütend, dass das noch nicht in Hessen umgesetzt werden kann. Es kann nicht sein, sagt er, dass wir das hier alles ohne Happyend machen. Recht hat er, dieser (Sport-)Romantiker!

Er war auch Augen- und Ohrenzeuge, als ich vor ein paar Tagen bei einer Abendveranstaltung in Lauterbach emotional ins Grenzwertige vorgestoßen war. Ohne, dass das mein Coach mit mir geübt hatte. Es überkam mich einfach.
Ich hatte das eine Beispiel ins Spiel gebracht, das für mich Sinnbild der ganzen Tour geworden war: Bei unserem Besuch der Gesamtschule in Frankfurt-Preungesheim war ich auf ein Mädchen aus einer der achten Klassen getroffen; ein pfiffiges und lustiges Mädchen. Sie hatte es drauf. Nicht direkt im Fußball, aber als Schauspielerin.
Ich hatte sie nach dem Unterricht gefragt, ob es darstellendes Spiel bei ihnen an der Schule gäbe. Sie verneinte. Und ich ging von dannen. Und fragte mich und frage mich, was denn gewesen wäre, wenn dieses Mädchen, dessen Namen ich leider nicht habe, ab der ersten Klasse in die Welt des Theaters hineingewachsen wäre, mit Lehrern und Trainern, durchgängig die ganzen Jahre hindurch. Komisch, da schüttelt es mich schon wieder – sie hätte alle an die Wand gespielt, da bin ich mir sicher!

Sportidee, Kulturidee – Leude, was ist los, warum legen wir nicht alles da rein, dass alle, ja alle, und nicht nur die, die es sich wortwörtlich leisten können, in etwas hineinwachsen können, in Theater, Spiel und Tanz, in Kunst, Musik und Zirkus? Leude, glaubt mir, da würde einiges los sein! Martin nickt routiniert den Text ab.
Heute ist Wahl.

Song of the day
Fünf Sterne Deluxe – Die Leude